Die Rolle der Frau zwischen Tradition und Aufbruch

28.05.2021 Sara Hirschmüller

Autorin: Dr. Elisabeth Janik-Freis (Mitarbeiterin Kunstvermittlung)

 

Die aktuelle Sonderausstellung August und Elisabeth Macke. Der Maler und die Managerin, die auch die Ehefrau des expressionistischen Künstlers in den Blick nimmt, ist Anlass für mich, über den historischen Kontext, die Geschlechterbeziehungen und den Beginn der Moderne zu reflektieren. Denn wer sich mit der Rolle der Frau in Kunst und Kultur befasst, der muss seinen Blick auch auf die Frauen- und Geschlechtergeschichte richten.

Seit mehr als einem Jahrhundert kämpfen Frauen für ihre Rechte und ihre Stellung in der Gesellschaft. Das vergangene 20. Jahrhundert kann daher auch als das Jahrhundert der Frauen bezeichnet werden, da es in dieser Zeitspanne zu tiefgreifenden Veränderungen in der Selbstwahrnehmung der Frauen, ihrer politischen Rechte sowie ihrer Rolle innerhalb der Gesellschaft kam. Die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts im November 1918 ermöglichte Frauen nicht nur politische Partizipation, sondern öffnete ihnen auch neue Handlungsspielräume, wodurch sich ihre Stellung in der Gesellschaft auch langfristig verändern konnte.

Dem politischen Erfolg von 1918 gingen jedoch Jahrzehnte intensiver kämpferischer Auseinandersetzungen voraus, in denen sich Frauen in kleinen Gruppen und Vereinen zusammenschlossen und sich für Ihre Belange engagierten. Bereits seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert lassen sich erste entsprechende Aktivitäten und Vereinsgründungen im deutschsprachigen Raum feststellen. Neben der Verbesserung der sozialen und politischen Stellung der Frauen war Bildung ein zentrales Anliegen. Zu einer Zeit, in der es noch keine systematische und vor allem flächendeckende Frauen- und Mädchenbildung gab, waren solche Bestrebungen für Millionen von Frauen von großer Bedeutung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts intensivierte sich die Frauenbewegungen und fand laute Vertreterinnen unter anderem mit Helene Lange, Auguste Schmidt und Marie Loeper-Houselle. Gemeinsam gründeten die drei Frauen eine der wohl erfolgreichsten Frauenberufsorganisationen, den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV), und erreichten trotz zahlreicher Widerstände erste Erfolge. So erreichten sie die langsame, aber sichere Zulassung von Frauen an die Universitäten sowie die Durchsetzung der preußischen Mädchenschulreform 1908, die das Mädchenschulsystem in staatliche Hände legte. Für viele Frauen und Mädchen öffneten sich dadurch neue Möglichkeit und Perspektiven abseits der bisherigen geschlechterspezifischen Rollenverteilungen.

Eine wie alle und alle wie eine?

Doch nicht nur bürgerliche Frauen engagierten sich für die Rechte der Frauen, auch innerhalb der wachsenden Arbeiterbewegung formierten sich Frauen in sozialistischen Frauenvereinen und setzten sich für mehr Gleichberechtigung und politisches Mitspracherecht ein, denn auch innerhalb des Arbeitermilieus waren sie von ungleicher Bezahlung und fehlenden politischen Rechten betroffen. Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert waren keineswegs eine homogene Gruppe, vielmehr waren ihre Lebens- und Arbeitswelten von ihrer sozialen Herkunft und ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft abhängig. So war Bildung für Mädchen und Frauen aus bürgerlichen Haushalten durch privaten Unterricht leichter zugänglich als für viele andere. Doch diente die Ausbildung vielmehr dem Zweck, die weiblichen Chancen auf dem Heiratsmarkt zu steigern.

Auch wenn die ökonomischen und kulturellen Unterschiede die Lebenswelten der einzelnen Frauen auf verschiedene Weise prägten, so waren sie doch einer patriarchalischen Gesellschaft ausgesetzt, die sie als nicht mündige und autonome Menschen wahrgenommen hat. Junge Frauen waren von der Geschlechtsvormundschaft, die durch den Vater, Bruder oder den Ehemann ausgeübt werden konnte, abhängig. Dabei waren die Geschlechterrollen klar aufgeteilt: Frauen gehörten in den privaten Raum, in das häusliche Leben, während Männern der öffentliche Raum zugesprochen wurde. Weitere geschlechterspezifische Merkmale verdeutlichten auch die Aufteilung zwischen traditionellen und modernen Werten der Geschlechter: Während dem männlichen Geschlecht Energie, Kraft, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen, Kühnheit und Wissen zugesprochen wurde, galt das weibliche als schwach, dennoch hingebungsvoll, bescheiden, anspannungsfähig und religiös. Die weibliche Passivität wurde von Zeitgenossen als Ideologie des „natürlichen Geschlechtscharakters“ wahrgenommen und verbreitete sich vor allem im bürgerlichen Milieu. Für Frauen der Arbeiterschicht funktionierte diese Ideologie nicht, da ihre Erwerbsarbeit für den Unterhalt der Familie vonnöten war. Der nicht erwerbstätigen (bürgerlichen) Hausfrau und Mutter stand die hart arbeitende Frau der Arbeiterschicht drastisch gegenüber.

Die Jahrhundertwende und die Mackes

Als Elisabeth und August Macke 1909 heiraten, umgibt sie eine Welt im Umbruch. Der Mensch um 1900 war mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die sich von technischen Entwicklungen (Elektrizität, Verkehr, Kanalisation) über die Gefahren neuer Geschwindigkeiten bis hin zu Massenkommunikationsmitteln erstreckten. Die sich daraus ergebenden Ambivalenzen, in denen sich sowohl Chancen als auch Risiken der Moderne verdichteten, fanden literarisch und künstlerisch ihren Ausdruck. Traditionelle Geschlechterrollen kamen durch das Aufbegehren der Frauenbewegung ins Wanken, was zu einem neuen Frauenbild beitrug, das Frauen aus ihrer Passivität herausholte und sie zu einem aktiven Teil der Gesellschaft machte bzw. machen sollte. In diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne ist auch das junge Künstlerpaar zu verorten. Die gemeinsamen Reisen, die Vernetzung und der Austausch mit anderen Künster:innen sowie Elisabeths Einfluss auf das Schaffen des Künstlers deuten bereits darauf hin, dass das Paar nicht in den traditionellen Rollenmustern verhaftet blieb. Auch wenn August seine Elisabeth in zahlreichen Skizzen, Aquarellen und Gemälden in sehr traditionellen Geschlechterrollen malte – Elisabeth liest, schreibt oder verrichtet Hausarbeit –, legte er darauf wert, dass sie beide sich in ihrer Bildung „gleich-stehen“ sollten.

Als junge Mutter und Ehefrau übernahm sie häusliche Pflichten, doch war sie für August weitaus mehr als nur das. Sie war seine größte Muse und stand als Beraterin in Fragen der Kunst an seiner Seite. Sie managte sein Künstlerdasein, indem sie wertvolle Kontakte zu Künstlern, Galeristen und Intellektuellen der Zeit unterhielt und sorgte dafür, dass August zu einem der wohl bekanntesten Künstler des deutschen Expressionismus wurde. Nach seinen frühen Tod engagierte sie sich dafür, dass Mackes Bilder in der wachsenden Kunstszene Verbreitung fanden. Elisabeth war zweifellos eine Frau ihrer Zeit, sie war Teil einer Gesellschaft im Aufbruch zwischen Tradition und beginnender Moderne – ein Typus einer neuen Frau.

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