Kunstwelten: Appetitanreger Kunst

16.07.2021 Sara Hirschmüller

Autorin: Katrin Egbringhoff (Mitarbeiterin Kunstvermittlung)

„Du, Katrin, wenn du noch einen Blog-Artikel schreiben möchtest, ich hätte da noch einen zum Tag des Picknicks übrig. Hast du Lust?“ Nun sitzte ich hier etwas ratlos vor dem sprichwörtlichen weißen Blatt Papier und mir schwirrt immer nur ein Song von den Fantastischen Vier im Kopf herum: „Kein Sch**** Mann, ich bin der Picknicker, jeder weiß Mann.“ Allerdings hat dieses Lied wohl eher wenig mit dem wirklichen Picknick zu tun. Aber das Schöne an solchen „Alltagsthemen“ ist ja, dass diese sofort Assoziationen auslösen und man tatsächlich auf diese Art und Weise schneller einen Zugang zu Kunstwerken finden kann.

Es gibt in der Geschichte der Kunst einige berühmte Werke, die Menschen bei einem Picknick zeigen. Sicher ist Eduard Manets Das Frühstück im Grünen von 1863 das bekannteste Beispiel, welches oft, vermutlich bis heute, von Künstler:innen zitiert wird.

Meine Gedanken schweifen aber von den Fanta 4 zu einer Lieblingsserie meiner Kindheit ab: Unsere kleine Farm. Sauber angezogene Kinder im Sonntagskleid und -anzug sitzen mit prall gefüllten Picknickkörben auf Quiltdecken auf der Wiese vor der Dorfkirche ... Stopp. Vermutlich muss man sich wohl ein wenig mit der Geschichte des Picknicks beschäftigen, um die Bedeutung dieses sozialen Ereignisses ein bisschen besser zu verstehen. Blickt man in die Vergangenheit, wird klar, dass das Picknick bereits in der griechischen und römischen Antike praktiziert wurde. Auch Johannes 6,10–14 erzählt von der Brotvermehrung Jesu mit den Worten: „Lasst die Leute sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer“. (Einheitsübersetzung 2016). Ebenfalls im Mittelalter (z. B. Bauern bei der Feldarbeit) und im Barock (nun vermehrt Adlige) speisten im Freien. Der Name Picknick erscheint aber erst im 17. Jahrhundert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten (und Diskussionen) zu der Herkunft. Eine ist die Wortzusammensetzung in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1692: pique-nique. Piquer steht hier für „aufpicken“ und nique für die „Kleinigkeit“.

Der Picknickkorb, welcher die Decke, das Geschirr und das Besteck enthält, kam im 19. Jahrhundert in Großbritannien auf. Im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst gab es 2017 eine Ausstellung zur Geschichte des Picknicks. Die Kuratorinnen untersuchten das „Phänomen Picknick“ quer durch Kulturen und Zeiten und stellten fest, dass das Essen im Freien eine Praxis aller kulturellen Schichten darstelle. Es könne ein verfeinertes Ritual oder auch Alltagsereignis sein: „Das Teilen von Speis und Trank verbindet und stiftet Gemeinschaft; das Picknick in der Natur ist von spielerischer Freiheit geprägt, es kann Entspannung, Ungezwungenheit und bestenfalls die Überwindung gesellschaftlicher Unterschiede ermöglichen“. Das Picknick scheint also ein Thema zu sein, welches sich nicht nur oberflächlich betrachten lässt. Und da kommt mir wieder Unsere kleine Farm in den Sinn. Auch dort speisen alle Stadtbewohner zusammen und augenscheinlich spielen gesellschaftliche Unterschiede weniger eine Rolle als normalerweise.

Nun soll hier allerdings als Erstes ein Werk aus der Sammlung vorgestellt werden, welches die gesellschaftlichen Unterschiede des 17. Jahrhunderts untermauert und diese mithilfe der Auswahl von dargestellten Speisen noch auf üppige Weise betont.

Frans Snyders, Knabe in der Vorratskammer, um 1640, Öl, Eichenholz.

Frans Snyders (1597–1657) malte 1640 ein annähernd ein mal zwei Meter großes Stillleben mit dem Titel Knabe in der Vorratskammer in Öl auf Eichenholz. Zu finden ist es in den Räumen der Sammlung des Museums im Kapitel Barock. Stellen wir uns vor, die Speisen wurden für ein Picknick zusammengestellt. Für wen mag es vorbereitet worden sein? Lassen Sie Ihren Blick über das Bild schweifen: Hummer, Fasan, Pfau, ein prall gefüllter Obstkorb, Spargel, eine Artischocke und ein ganzes Reh; all dies zeugt von einem sehr wohlhabenden Auftraggeber, der ebendiesen Reichtum und besonders sein Vorrecht auf die Jagd auch zeigen wollte. Snyders Auftraggeber waren vor allem höfisch-aristokratisch (adelige Oberschicht), aber auch das reiche Patriziat (städtische Oberschicht, Großkaufleute) beauftragte den Antwerpener Maler, der sich auf Tierdarstellungen und Stillleben spezialisiert hatte. Das Stillleben in den Niederlanden hat mit den sogenannten Küchenbildern bereits eine längere Tradition. Diese stecken voll mit mahnenden, religiösen Symbolen an die Vergänglichkeit und an die Sterblichkeit der Betrachtenden. Auch bei Snyders sind Motive zu finden, die eine tiefere Bedeutung besitzen: Der Pfau steht für Eitelkeit, der Hummer für unterwürfiges Verhalten und die Menge an rohem Fleisch in Verbindung mit der Zitrone für notwendige Mäßigung der Fleischeslust. Einige Früchte haben bereits faule Stellen: Alles ist vergänglich! Interessant ist aber, dass diese Symbole auch übersehen werden können. Je nach Laune der Betrachtenden kann man im wahrsten Sinne des Wortes einfach nur den Augenschmaus genießen. Typisch für die im Süden gelegenen, katholisch gebliebenen Landesteile der Niederlande (flämisch), sind solche großen, farbintensiven Prunkstillleben wie dieses.

Machen wir nun einen Zeitsprung von mehr als 300 Jahren und betrachten eine Arbeit von Daniel Spoerri, welche sich ebenfalls in der Sammlung des Museums befindet und in der Ausstellung betrachtet werden kann:

Daniel Spoerri zeigt uns hier die Momentaufnahme – einen Tisch mit Geschirr und Essensresten, die ein Mensch zurückgelassen hat. Quasi den Schnappschuss eines „einsamen Picknicks“ mit den Spuren einer realen Situation. Der Künstler gehörte zu einer Gruppe, welche sich in den 1960 Jahren als „Neue Realisten“ („Nouveaux Réalistes“) zusammengeschossen haben. Es ging ihnen darum, endlich die, aus ihrer Sicht fehlende, Verknüpfung von Kunst und Leben zu erreichen und nutzten dafür vielfach reale Gegenstände. Sie brachten diese in mehr oder weniger neue Zusammenhänge und ermöglichten auf diese Weise neue Assoziationen und Sinnzusammenhänge. Spoerri entwickelte eine ganze Werkgruppe mit dem Titel Fallenbilder. Er friert mit diesen Arbeiten Zusammenkünfte mit Freunden oder gemeinsame Mahlzeiten für die Ewigkeit ein. Besonders wichtig ist dabei auch die Idee des Zufalls und die Entdeckung des Unbeachteten, die hier bestimmend für das Erscheinungsbild des Kunstwerkes werden. Die Verbindung von Kunst und Leben trieb Spoerri sogar auf die Spitze, indem er 1968 ein eigenes Restaurant und später darüber die „Eat Art Gallery“ eröffnete. Der Bezug zum Stillleben wird von Spoerri selbst gezogen: „... und so merkte ich, dass dieser aufgeklebte Moment nur eine Blitzsekunde war im Ablauf eines ganzen Zyklus, der Leben und Tod, Verwesung und Wiedergeburt heißt“. Wie auch in vielen Stillleben des Barock zeigt sich hier der Verfall und das Vergehen von Lebensmitteln. Die eingetrockneten Getränkereste oder die Soße auf dem Teller sind sogar bis heute einem realen Verfallsprozess ausgeliefert und weisen so auf den angesprochenen Kreislauf von Tod und Leben hin.

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Kategorie: Kunstwelten