Eine Annäherung über den Körper

21.07.2020 Sara Hirschmüller

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Studierendenprojekts "Norbert Tadeusz und die figürliche Malerei seit 1960".

Von Kerstin Hochhaus

 

Verrenkte Körper, verknotete Gliedmaßen, menschliches Fleisch in unnatürlichen Posen. Das hat mich zu Tadeusz gebracht. Für mich wirkten die Bilder performativ, bewegt, belebt. Aus Performance und Film kommend sah ich in ihm einen spannenden Maler mit einem Interesse an Bewegung und Körperformen. Was tut der Körper, wenn er in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird? Wie verändert sich der Körper unter Anspannung? Mit welchen Perspektiven lässt sich auf den Körper schauen?

Je länger ich schaue, desto mehr Details sehe ich, die mich irritieren. Eine masturbierende Frau auf einem Tisch, an dem zwei Männer sitzen, die sie anschauen. Eine nackte Frau auf einem Fahrrad. Eine Frau auf einem Glastisch, nicht nur entblößt, sondern geradezu präsentiert, bereit für den Geschlechtsakt. Überall nackte Menschen, selbst im Pferderennen – meist sind es Frauen. Es sind Ansichten, die mich rätseln lassen, was dahintersteckt. Ist es wirklich noch ein malerisches Interesse am Körper?

Dann kommt die Erkenntnis, dass er sich gar nicht für den Körper interessiert: „Im Bild haben Personen nichts anderes zu tun, als sich so wie Dinge zu verhalten, die werden so lange hin und her geschoben, bis sie in der Komposition stimmen“, sagt er in einem Interview mit Walter Grasskamp. Ersichtlich wird diese Einstellung, wenn im Bild die Heizung relevanter erscheint als die Person im Vordergrund oder eine Arbeit als Interieur behandelt wird, bis jemand die hockende Nackte hinter dem Stuhl im Zentrum erkennt. Das Argument scheint beinahe rational. Es geht ihm also um die Komposition. Wie verhalten sich die Dinge im Bild zueinander? Er hasst Perspektive und versucht, die Mehransichtigkeit, die er bei Tintoretto so schätzt, durch collagierte Kompositionen zu erreichen. Anschaulich ist im Film gezeigt, wie er die Fotos der Pferderennen auseinandernimmt und nur das herausnimmt, was ihn interessiert. Er schiebt herum, setzt neu, verwirft, zeichnet vor, übermalt wieder und am Ende wird die Collage auf die Leinwand übertragen – er ist schließlich Maler. Mir gefällt der suchende Prozess, die Gier nach Form und Perspektiven, nach surrealen Verschiebungen, Täuschungen, Aufsichten, an Stellen, an denen das nicht möglich wäre. Aber es ist eben auch immer diese Aufsichtigkeit. Auf eine Perspektive unterhalb seiner Augenhöhe lässt er sich nicht herab. Er schaut auf Fleisch hinunter, das aufgebahrt im Schlachthaus hängt. Er schaut auf Pferde und Reiter hinunter, die sich gegenseitig bis aufs Blut ins Ziel verfolgen. Er schaut auf weibliche, nackte Körper hinunter, arrangiert sie im Bezug zur Heizung, zur Strumpfhose, zum Flügel, zum Glastisch.

Wer ist er?

Was macht es, dass Tadeusz als weißer, katholischer, männlicher Maler Frauen so malt? Diese Frage ist da, seitdem ich die Ausstellung betreten habe. Wer dürfte es eher? Wäre es in Ordnung, wenn eine Frau sich selbst in diesen Posen malt – übertragen von Fotos, die sie selbst geschossen hat? Und ist es jetzt nicht in Ordnung? Wie wäre es zu lesen, wenn die Autorinnenschaft dieser Bilder bei einer feministischen Künstlerin läge, die einen maskulinen Blick in der männlich dominierten Kunst- und Rezeptionsgeschichte kritisch adressiert? Und – kann Tadeusz sich mit der Berufung auf Form und Farbe aus der Affäre ziehen, sich zu seinem Frauenbild explizit äußern zu müssen?

Immer wieder betont er, er habe mit den Strömungen und Interessen seiner Zeit nichts anfangen können. Er war anders, hat an der figürlichen Malerei festgehalten, die andere längst totgesagt hatten. Dennoch ist er in dieser Zeit zu verstehen und kann sich nicht von ihr lossagen. Fluxus, Pop und Minimal waren ebenso Zeichen der Zeit wie die feministische Avantgarde (um mit dem Genrebegriff der Hamburger Kunsthalle zu sprechen). Reicht es, zu sagen, dass Frauenbilder als solches nicht Thema der Arbeit sind? Lässt sich diese Argumentationslinie einer Rezeption einfach ausklammern? Muss man(n) sich verantworten, in dieser Zeit diese Kunst zu machen?

„Ich verstehe Frauen nicht, und ich versuche, sie zu verstehen, deshalb tauchen sie als Gegenüber auf, als Du, wenn man so will“, sagt Tadeusz. Das sehe ich in den Bildern, die seine Frau zeigen. Es geht um seine Art, sie anzusehen, um das, was zwischen den beiden ist, um einen Dialog. Die Turnerinnen lassen sich vielleicht als ein rationaleres Ausprobieren dieses Dialogs auf einer künstlerisch-professionellen Ebene lesen. Es geht nicht mehr um etwas Emotionales, sondern um die Komposition. Wie kann sich ein Mensch/eine Frau bewegen? Die Ergebnisse dieser Studie reichen von der schlaffen Frau über dem Stuhl, die kaum von einem dahingeworfenen Mantel zu unterscheiden ist, bis hin zur schwangeren Frau, die voll Anspannung ihre Beine horizontal über den Rand des Flügels streckt. Ich verstehe nicht, warum sie nackt sein müssen und ich verstehe auch nicht, warum sie in allen Bildern auftauchen. Ich kann aber im Sinne eines Körperinteresses mitgehen. Die urchinesischen Zeichen aber haben für mich nichts Dialogisches. Sie sind ein Blick auf etwas, etwas Bezeichnendes, ohne das Bezeichnete zu verstehen oder verstehen zu wollen. Eine vereinfachte Darstellung. Ein Schema. Schwangere Frauen in archaischer Symbolsprache. Und all das geschieht vor dem Hintergrund einer katholischen Religiosität, auf die er sich immer wieder bezieht und beruft. Madonnen hat er geschnitzt, bevor er zur Akademie kam. Auch später tauchen Titel und Kompositionen auf, die christliche Formsprache aufgreifen, sie aber nicht kommentieren. Für ihn ist „Madonna, als Göttin, unverständliches, nicht zu begreifendes Wesen, als Mysterium“ zu lesen.

Ich wüsste gern mehr. Ich wüsste gern, ob er die Betrachtenden seiner Arbeiten überhaupt mitgedacht hat. Ich wüsste gern, ob er im Laufe der Zeit besser verstehen konnte, was „die Frau“ für ihn bedeutet. Ich frage mich, ob es ihm bewusst war, wie seine Arbeiten aus einer genderkritischen Perspektive wirken und wenn ja – ob es ihm egal war.