All In: Schwerpunkt Kognition und Psyche

09.07.2021 Sara Hirschmüller

Die unsichtbare Behinderung und das Museum – ein Interview mit dem Experten Klaus Figge von der Kommission zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderung Münster

Autorin: Katharina Kirschkowski (Stud. Volontärin Kunstvermittlung)    

Fragt man Passanten auf der Straße, welche Menschen mit Behinderungen es gibt, werden häufig genau jene Behinderungen genannt, die man sehen kann. Sie können auch auffallen, weil sie im öffentlichen Raum bedacht sind. Blindenleitsysteme, Rampen für Rollstühle, das Zeichen für den Behindertenparkplatz, Gebärdensprachdolmetscher bei Veranstaltungen oder im Fernsehen.

Es gibt allerdings auch Behinderungen, die von außen nicht sofort sichtbar sind. Menschen mit dieser Behinderung werden häufig nicht als eigene Gruppe wahrgenommen, zum Beispiel Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen. Dazu können Menschen mit Lernschwächen und Aufmerksamkeitsdefiziten gehören, aber auch Menschen mit wahnhaften, emotionalen, Angst- und Belastungsstörungen, Depressionen, Burnout und vielem mehr.

Ich habe mit Herrn Klaus Figge gesprochen, der sich zusammen mit der Kommission zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderung (kurz KIB) der Stadt Münster für Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen einsetzt.

Bisher haben wir Angebote für Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen nur auf Nachfrage angeboten. Herr Figge erklärt, dass neben dem geschützten Raum für Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen allerdings auch eine öffentliche Sichtbarkeit erreicht werden solle. Wie sonst kann man das Tabu-Thema in der Gesellschaft des „psychisch Kranken“ angehen?

Wer jetzt das Gefühl hat, dass das Thema doch längst nicht mehr so tabu sei, wie es mal war, der denkt an Depressionen, Burnouts, Belastungsstörungen.

„Es gibt gesellschaftlich anerkannte psychische Erkrankungen, die sogar positiv wahrgenommen werden. Ein Burnout hat man, weil man viel geleistet hat, zum Beispiel“, erklärt mir Herr Figge, „Da ist es auch leichter sich zu outen, weil man eine anerkannte Erklärung für die Gesellschaft hat. Für Menschen mit kognitiven Störungen – zum Beispiel der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit – oder anderen psychischen Störungen – zum Beispiel schizophrenen, wahnhaften Störungen oder auch Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen – gibt es noch viele Berührungsängste.“

Diese Gruppe bleibt viel unter sich, da es leichter ist, sich zurückzuziehen, als sich ständig outen zu müssen. Und dabei sollten auch Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen die Möglichkeit bekommen, am kulturellen Leben teilzunehmen.

In diesem Rahmen möchten auch wir im Museum den Schritt in die Sichtbarkeit machen und öffentliche Angebote für Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen schaffen.

Wie könnten solche öffentlichen Angebote aussehen, die zu festen Terminen stattfinden? Diese sollten drauf ausgerichtet sein, dass die unterschiedlichsten Wünsche für Menschen mit psychischen und kognitiven Störungen im größten gemeinsamen Nenner auch erfüllt werden können. Da diese Gruppe aber sehr unterschiedlich sein kann, ist das gar nicht so leicht.

„Sicherheit schaffen“ ist Herrn Figges Vorschlag: „Zum Beispiel, wenn man im Vorfeld anhand eines Raumplans des Museums zeigt, wo man langgehen wird, wenn man an einem Kunstgespräch teilnimmt. Damit wird klar, wo man sich befindet, wo man herkommt und wo man hingeht.“

Aber auch kleinere Gruppen mit maximal 10 Besucher:innen sind sinnvoll sowie die Ankündigung, welche Kunstwerke im Kunstgespräch angesehen werden. Dabei seien digitale Angebote nur eine Teillösung. Die Möglichkeit, bei digitalen Angeboten anonym und unsichtbar bleiben zu können, kann ein erster Schritt sein, sich die Angebote anzusehen und Sicherheit zu gewinnen, aber sie sollten nicht die einzige Möglichkeit bleiben, Kunst genießen zu können. Kunst digital und vor Ort zu erleben, sind zwei unterschiedliche Erlebnisse und Angebote in beiden Formaten zu haben, wünscht sich auch Herr Figge.

Ein Zwischenfazit ist also, dass es analoge und digitale Angebote geben sollte, die auch offen kommuniziert werden.

Wir möchten damit dazu beitragen, dass Stigmatisierungen und Barrieren abgebaut werden und das Museum als einen geschützten Raum vorstellen. Inklusion heißt für das Museum, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt hier einen Raum der Begegnung finden.

Hier kann jeder Platz für seinen eigenen Blickwinkel auf Kunst bekommen – in einem Kunstgespräch oder in einem Workshop, ohne dass man sich gezwungen sieht, sich umfangreich erklären zu müssen. Habt ihr vielleicht eine Idee oder Wünsche, wie ein solches Angebot genannt werden könnte? „Angebote für die seelische Gesundheit“? „Kunst für die Seele“? Wir hoffen, dass ihr ein paar Vorschläge habt und sind gespannt auf euer Feedback!

Wir freuen uns auf euch und den Austausch und halten euch auf dem Laufenden!

↑ Zum Seitenanfang

Kategorie: All In