Kunstwelten: Club der schönen Mütter

11.05.2020

Familienbild des Grafen Rietberg. Hermann tom Ring (1521–1596). 1564, Öl, Eichenholz.

„Hey, soll ich euch sagen wohin ich heut geh
Wen ich heut Abend alles wieder seh (…)
Das ist der Club der schönen Mütter (…)“

 

Autorin: Anna-Lena Treese (Mitarbeiterin Kunstvermittlung)

Welche berühmten Mütter in der Kunst fallen Ihnen ein? Mit Sicherheit ist eine davon die in rot und blau gekleidete Maria, leicht lächelnd oder dramatisch trauernd. Dazu empfiehlt sich ein Spaziergang durch die beiden der Marienverehrung gewidmeten Räume der Sammlung. Hier sitzen und stehen eine ganze Reihe von Madonnenfiguren auf verschieden hohen Podesten, lächeln leicht verloren in Richtung ihres Kindes oder ins Leere. Sie scheinen nicht von dieser Welt zu sein, obwohl sie doch einen Aspekt von menschlichem Dasein verkörpern, der irdischer kaum sein könnte, zu dem jeder irgendeine Art von Verbindung hat. Maria ist die erste im oben zitierten Club der schönen Mütter. In ihr manifestiert sich die Popularität der Mutterfigur in der Kunstgeschichte. Allerdings: Ihre Berühmtheit und populäre Position in der Hierarchie direkt unter der Dreifaltigkeit war nicht sofort von Beginn der Verbreitung des Christentums an Programm. War oder ist Mutterschaft doch zu irdisch für die himmlischen oder geistigen Sphären, zu real oder gar banal?

Die Verehrung der Mutter geht bis weit in vorchristliche Zeiten zurück. Der Kult um Maria, wird hat seinen Ursprung letztlich auch in solchen urzeitlichen Göttinnen. Bilder von Müttern gab es immer, sie repräsentierten gesellschaftliche Bedürfnisse und Tendenzen. Besonders während der Gegenreformation wurde die im sogenannten Volksglauben äußerst beliebte Figur der jungen Frau oder der weisen, apokalyptischen regelrecht vermarktet.

Jung, schön, stark, weise, liebevoll - wie im oben zitierten Text der Band Fehlfarben von Peter Hein ist das Bild der Mutter jenes einer Frau an einer Art mystischem Ruhepol inmitten von Extremen. Verschiedene dieser ‚idealen‘ Mütter begegnen uns beim Blick in die Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur. Mutterfiguren wurden verehrt, idealisiert, verzerrt und verurteilt. Sie sind Ausgangspunkt und apokalyptische Figur. Die Kategorisierung und Bewertung der Mutterrolle ist mindestens so alt wie die Menschheit selbst, zumindest reicht die Darstellung (und Fetischisierung) der fruchtbaren Frau bis in die frühesten Phasen der Menschheitsgeschichte zurück, wie sich auch im Auftakt der aktuellen Ausstellung zu Norbert Tadeusz zeigt. Die Mutter ist Ausgangspunkt und Fruchtbarkeitssymbol, der Körper wird tatsächlich in Anlehnung an archaische Frauendarstellungen chiffriert, zum Zeichen für Brüste, Rundungen und Vagina mit einem sehr kleinen Kopf.

Diese mystischen Mütter haben verschiedenste Erscheinungsbilder, vor allem in Abhängigkeit davon ob sie von Künstlern, Künstlerinnen, von Musen inspiriert oder Selbstbildnisse sind. In jeder ihrer Varianten spiegelt sich eine besondere Facette jeweils zeitgenössischer Schönheitsideale. Die leicht überirdische Art der Schönheit und Reinheit, der Assoziation von bedingungsloser Liebe und zeitloser Jugend machen ihre Verehrung unerschütterlich.

Alles andere als banal ist die Figur der Gräfin Rietberg auf dem Gemälde von Ludger Tom Rink. In ihrer eindringlichen (auch durch Zerstörung des Bildes) reduzierten Darstellung ist sie blass, ernst, zerbrechlich und gleichzeitig wohl eine der modernsten Frauen ihrer Zeit. Der Reiz dieser Figur besteht vermutlich in der hintergründigen Faszination für ihre Rolle als selbstbewusste Witwe. Nichts sollte von den beiden Töchtern ablenken, aber ihre Darstellung als Witwe des in Ungnade gefallenen Grafen hat nichts Bigottes oder, wie vermutlich von der Gesellschaft erwartetes Demütiges an sich. Letztlich ging das Vorhaben, die Familie zu rehabilitieren und durch gute Heiratspolitik wieder zu stabilisieren auch für sie ‚gut‘ aus. Im 16. Jh. gewinnt das Porträt an Bedeutung. Es gilt etwas mehr über das Dasein im hier und jetzt zu erzählen. Dennoch: Das Bild der Mutter ist auf alle Zeiten und auch in säkularen gesellschaftlichen Kontexten geprägt von Maria. In der Bildenden Kunst wird es ein paar hundert Jahre dauern, bis die Mutterschaft jenseits der christlichen Ikonografie überhaupt abgebildet wird.

Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865). Dame mit Kind. 1855. Öl, Leinwand.

Biedermeierfrauen als lebensfrohe, freundliche Matronen - die Eleganz des römischen Stils der Frauen in den Familienporträts von J. C. Rincklake hat etwas Entrücktes. Auch in der Darstellung einer jungen Mutter von Waldmüller liegt eine Natürlichkeit, die an das erinnert, was Mütter von sich in der Öffentlichkeit sehen wollen. Insta-Moms und ihre Kritiker:innen machen das Spannungsfeld auf, in dem das neue Mutterbild oszilliert. Leben wir im neuen Biedermeier und sind die Indizien dafür klar? Aber wie sind die Mütter der Moderne? Es gibt wenige Beispiele in der Sammlung. So tragisch wie exemplarisch ist das Selbstbildnis von Paula Modersohn-Becker, das kaum ohne Bezüge zur Lebensgeschichte der jungen Frau funktioniert. Von ihr stammt ein Selbstbildnis als Schwangere. Als Mutterfiguren sind sie und eine Lithografie von Käthe Kollwitz zwei Darstellungen, die an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ein ungeschöntes oder romantisiertes (Selbst)bild zeigen.

    „(…) Sie müssen nicht mehr streben,

    sie sind noch nicht bequem,

     Sie leben harte Leben, sie können viel verstehn.

    Sie haben viel zu geben, haben viel gesehn“ (Zitat Fehlfarben, s.o.)

 

Es scheint ein exklusiver Club zu sein. Im Düsseldorf der 80er Jahre, hielt sich im Ratinger Hof, zeitgleich mit den Fehlfarben, auch Norbert Tadeusz gelegentlich auf. Der Maler, schon ein richtiger ‚erwachsener‘ Künstler, der vermutlich mit der Ästhetik und Attitüde von Punk nicht allzu viel zu tun hatte, scheint den Mutter-Mythos, der hier besungen wurde, verinnerlicht zu haben. Die frühen Mutter-Chiffren werden im weiblichen Akt im Laufe seines Werks davon gelöst und der weibliche Körper zum Studienobjekt – eine Erneuerung des Frauen- und Mutterbildes? Ihr Ursprung ist von jeher mythologisch behaftet, religiös stilisiert, ikonenhaft. Ikonen sind starr, unerreichbar. Es stellt sich die Frage, welche zeitgemäßen (Selbst)bilder Mütter dem entgegnen könnten.

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Kategorie: Kunstwelten