Kunstwelten: Der Lebensweg eines Gemäldes

29.07.2020 Sara Hirschmüller

Karl Blechen, Romantische Landschaft mit Ruine, um 1820/24. Foto: LWL / Hanna Neander

Autorin: Leonie Heims (stud. Volontärin Kunstvermittlung)

Heute vor 222 Jahren ist der deutsche Landschaftsmaler Carl Eduard Ferdinand Blechen geboren. Aus diesem Grund treffe ich mich mit der Provenienzforscherin Eline van Dijk, um der Geschichte des Gemäldes nachzugehen, das wir bei uns in der Sammlung bewundern können: Romantische Landschaft mit Ruine um 1820/24. 

Blechen arbeitet als Bühnenmaler, als er das Gemälde anfertigt. Es zeigt eine Szene aus Mozarts Oper Don Giovanni: Ein Kampf spielt sich in der nahenden Dunkelheit der Nacht ab. In dieser düsteren Atmosphäre verbindet Blechen den Opernstoff mit dem Motiv des Lebenswegs. In der Weltvorstellung der Romantik sind Schauer und Hoffnung als Naturphänomene in einem Zwischenspiel.

Die Tiere, eine aufgeplusterte Eule und die am Boden kriechenden Schlangen, symbolisieren Weisheit und Tod. Im Verlauf eines Lebenswegs erleben wir Menschen mal finstere, mal hoffnungsverheißende Zeiten. Doch das gilt nicht nur für uns: Blechen wird es bei der Anfertigung noch nicht geahnt haben, aber der Lebensweg dieses Gemäldes selbst ist alles andere als einfach. Heute ist das Bild ein Schlüsselwerk für die romantische Malerei in der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur. Doch hat das Gemälde eine lange Reise hinter sich und der möchte ich mit Eline van Dijk nachgehen.

Die ersten Abschnitte vom Weg des Gemäldes hat die Treuhandverwaltung für Kulturgut recherchiert: Pauline Gräfin von Lüttichau erwirbt das Gemälde direkt vom Künstler. Nach ihrem Tod im Jahr 1900 vererbt sie es ihrer Großnichte und deren Ehemann, dem preußischen General Wolf-Dietrich Amstetter, erzählt mir Eline van Dijk. Vermutlich noch vor dem Ersten Weltkrieg gelangt Romantische Landschaft mit Ruine in die Kunstsammlung von Julius Freund in Berlin. Nach und nach baut dieser eine bedeutende Kunstsammlung auf, die aus zahlreichen Werken aus dem 19. und 20. Jahrhundert besteht. Die Familie Freund schickt schon im Jahr 1933 aus Berlin vor der Emigration Teile der Kunstsammlung an das Kunstmuseum in Winterthur. So wollen sie wohl die Sammlung vor einem möglichen Zugriff schützen, denn die Familie stammt aus dem Judentum. „Die Familie Freund muss wohl schon deutlich alarmierter gewesen sein als viele andere jüdische Sammler:innen in Deutschland zu der Zeit“, bemerkt Eline van Dijk. Anfang 1939 emigriert das Ehepaar Freund nach Großbritannien. Nachdem Julius Freund 1941 stirbt, sieht sich seine Familie gezwungen, die Kunstsammlung zu veräußern. Das Museum Winterthur liefert die Sammlung in Luzern ab, wo diese bei der Galerie Fischer 1942 versteigert wird. „Den Auktionskatalog mit einer Abbildung des Gemäldes darin kann man sogar in unserer Museumsbibliothek finden“, erzählt Eline van Dijk.

Foto: LWL/Sabine Ahlbrand-Dornseif

Dann tritt Hans Posse auf den Plan. Der Sonderbeauftragte soll Kunst für das geplante „Führermuseum“ in Linz zusammentragen. Posse hat zu dieser Zeit unter anderem Zugriff auf beschlagnahmten jüdischen Besitz. Zusätzlich erwirbt er auf dem internationalen Kunstmarkt weitere Kulturgüter für das Museum. So auch die Romantische Landschaft mit Ruine und 30 weitere Gemälde aus Freunds Sammlung. Bei Kriegsausbruch kommen die Kunstwerke in spezielle Lager, um sie vor Luftangriffen zu schützen. Eline van Dijk vermutet, dass der Blechen zu den Werken gehört, die später aus dem Salzbergwerk Altaussee geborgen werden. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kommt die Sammlung in den Central Collecting Point (CCP) in München. Eline van Dijk ist gerade dabei, die Akten dazu einzusehen. Diese liegen heute im Bundesarchiv in Koblenz, dort sind die Vorgänge der Alliierten verzeichnet. Hier befinden sich auch Karteikarten zu den 1945 zunächst herrenlosen Gemälden.

Foto: LWL/Hanna Neander

Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit bemühen sich die alliierten Behörden um die Rückführung dieser Werke an die ursprünglichen Eigentümer oder ihre Erben. Später wird diese Aufgabe den Deutschen übertragen, die Treuhandverwaltung für Kulturgut wird eingerichtet. Manche Besitzer:innen melden sich selbst bei den Behörden und stellen einen sogenannten Claim, aber nicht alle finden Gehör, denn nicht jede:r hat zu der Zeit konkrete Nachweise über den Besitz. Manche Nachkommen oder Familien sind auch traumatisiert und nicht in der Lage, über den alten Besitz nachzudenken. Nicht wenige haben den Holocaust nicht überlebt.

Herrenlose Kunst, die keinen Claims zuzuordnen sind, geht nach dem Krieg in den Besitz des Staates über. Der verleiht einzelne Werke an Museen, denn sie sind teils von einem hohen kunsthistorischen Wert und sollen ausgestellt werden. 1969 kommt Blechens Gemälde als Dauerleihgabe in die Sammlung des heutigen LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster und ist seitdem dort zu sehen.

Die „Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter“ unter Vorsitz von Prof. Dr. Jutta Limbach spricht 2005 der Bundesrepublik Deutschland ihre erste Empfehlung überhaupt aus: Das Gemälde soll an die Erben von Julius Freund zurückgegeben werden. Provenienzrecherchen und das Prüfen von Claims nehmen viel Zeit in Anspruch. „Erbschaftscheine, Geburtsurkunden der heutigen Erben und viele weitere Dokumente müssen begutachtet werden, das kann sehr kompliziert sein,“ erklärt mir Eline van Dijk, die zu dem Zeitpunkt noch nicht am Haus war. Das Gemälde kann dann 2009 an die Erben von Julius Freund, dessen Enkel und Urenkel, zurückgegeben werden. Nach der Kontaktaufnahme des Museums mit den Erben in Kanada kauft das LWL-Museum das Werk 2010 für die Sammlung des Museums an. „Insbesondere der sehr sensible und offene Austausch der Museumsmitarbeiter:innen mit der Erbengemeinschaft war entscheidend dafür, dass wir dieses herausragende Gemälde weiterhin in unserem Museum präsentieren dürfen. Dafür bin ich allen Beteiligten sehr dankbar", sagt der damalige LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch.

 „Die Geschichte des Bildes zeigt beispielhaft, wie im Nationalsozialismus ganze Kunstsammlungen aus Notsituationen der Besitzer:innen heraus verkauft werden mussten“, heißt es vor zehn Jahren in der Pressemitteilung unseres Museums.  

Und dennoch ist jeder Fall, jedes Schicksal unterschiedlich. Man muss jedes Mal eine faire Lösung finden. „Der Fall des Blechens ist auf jeden Fall geeignet, um zu zeigen, warum man Provenienzforschung betreibt: damit solche Schicksale auch erzählt werden können“, schließt Eline van Dijk unser Gespräch. Danke für diese wichtigen Einblicke in den Weg von Blechens Romantischer Landschaft mit Ruine.

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Kategorie: Kunstwelten