Kunstwelten: Bilder, Mythen, Metaphern

02.10.2020 Sara Hirschmüller

 Autorin: Sara Hirschmüller (stud. Volontärin Kunstvermittlung)

„Um der übermächtigen Wirklichkeit zu entkommen, erfinden Menschen Bilder und Mythen, metaphysische und kulturelle Systeme.“

Bilder, Mythen, Metaphern – sie dienen den Menschen als Maßstab und als Orientierung angesichts der Herausforderungen der Gegenwart. Diese Erkenntnis wurde zum Leitmotiv des Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996), der von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1985 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Professor der Philosophie lehrte und am 13. Juli 2020 seinen 100. Geburtstag begangen hätte. 

Blumenbergs bedeutendste Schriften lassen sich in den fünf Bänden der Metaphorologie finden. Durch seine radikale Erweiterung der Ideengeschichte, die ihm Bezüge zur Poesie, Imagination und Fiktion erlaubte, trafen seine Schriften auf eine breite Leserschaft, besonders aus den Bereichen der Bildenden Kunst, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. 1979 veröffentlicht, fand das Buch „Schiffbruch mit Zuschauer“ insbesondere bei bildenden Künstlerinnen und Künstlern eine rege und gleichsam produktive Rezeption. Welch großes und zugleich vielseitiges Anregungspotenzial Blumenbergs Schriften boten, belegen beispielsweise Werke von Harald Klingelhöller, Ludger Gerdes und Marcel Odenbach, die in Bezügen zu Blumenbergs Theorien lesbar sind. Mit diesen Arbeiten werden vor dem Hintergrund gegenwärtiger politischer Konstellationen und menschheitsgeschichtlicher Entwicklungen Blumenbergs Gedanken nicht nur zitiert, sondern vor allem aktualisiert.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Westfälischen Wilhelms-Universität sowie dem Westfälischen Kunstverein und stand unter der kuratorischen Leitung von Jana Bernhardt, Ursula Frohne, Jenni Henke, Ulrike Hofer, Kristina Scepanski und Marianne Wagner. Sie spannt in Münster ein Netzwerk von Verbindungen zwischen Skulpturen im öffentlichen Raum bis hin zu einer Präsentation von Publikationen im Philosophikum der Westfälischen Wilhelms-Universität. 

Was hat ein Philosoph mit der Kunst zutun?

Im Gespräch mit Jana Bernhardt, Mitkuratorin der Ausstellung, begaben wir uns auf die Spuren Blumenbergs und folgten seinem Pfad durch Münster. "Uns war es wirklich wichtig, seinen Geburtstag so zu ehren", erklärte sie, "Vor allem weil er so wichtig ist für die Kunst. Nicht unbedingt, weil er sich auf Kunstwerke bezieht, sondern Künstler direkt auf ihn reagieren. Wie eben Gerdes, Klingehöller oder Odenbach". Gerade in heutiger Zeit, also der Gegenwartskunst, ist es gar nicht mal so ungewöhnlich, dass ein Philosoph eine solche Stellung in der Kunst einnimmt. Viele Künstler beschäftigen sich mit der Philosophie, z.B. gerade im Bereich der Konzeptkunst, wo sich viel auf solche Theorien bezogen wird. "Blumenberg selbst hat eben eine solche Bedeutung, weil er sich mit Metaphern auseinandergesetzt hat und im Prinzip einer philosophischen Metaphernforschung nachgegangen ist. Aber nicht, indem er es philosophisch aufarbeitet, sondern indem er sie an zahlreichen Beispielen durchexerziert. Das ist wahnsinnig interessant. Inwieweit sprachliche Bilder mit künstlerischen Bildern zusammenpassen. „Darin steckt das Potential für die Ausstellung", erklärt Jana Bernhardt weiter. Die Schwierigkeit in der Ausstellung mag für die Besucher:innen darin liegen, den Zusammenhang zwischen den Schriften Blumenbergs und den künstlerischen Arbeiten zu finden. Da es keine biografische Ausstellung und auch keine Lobpreisung an den Philosophen ist, konzentriert sich Denken in Metaphern darauf, seine Relevanz in der Kunstwelt aufzuzeigen. Es ist ein Ausblick wie Blumenberg für die Kunst funktioniert. Dabei ist es gar nicht notwendig die Texte des Philosophen selbst zu kennen. "Wir haben ein Begleitheft entwickelt, dass die Spuren des Blumenbergs in Münster kartografiert, der man folgen kann. So finden die Besucher:innen am leichtesten einen Zugang. Der Beitrag von Till Julian Huss, den wir bewusst an den Anfang des Heftes gesetzt haben, unterstützt auch noch sehr und führt in die Metaphern ein."

Die Wiese lacht oder das Gesicht in der Wand

Harald Klingelhöllers Arbeit Die Wiese lacht oder das Gesicht in der Wand (Skulptur Projekte 1987) besteht aus einem gläsernen, verspiegelten Geländer, 16 in Kugelform geschnittene Eiben und fünf weitere beschnitten Eiben und ist im Innenhof des Juridicums zu finden.  Er nimmt mit dieser Arbeit direkten Bezug auf Blumenbergs Metaphern. "Klingelhöller arbeitet allgemein gerne in einem zeichentheoretischen Raum", erklärt Jana Bernhardt, als wir den Innenhof betreten. „Das hier ist die erste Außenversion von einer Reihe von Arbeiten mit ähnlichen Titeln. Man muss dazu immer sagen, dass er im Zuge der Skulptur Projekte den kompletten Innenhof umgestaltet hat. Eine Umgestaltung war sowieso geplant und so stellte Klaus Bußmann die Anfrage, ob der Künstler dies übernehmen könnte." Demnach muss die Arbeit im gesamten Kontext der Anlage gesehen werden. Auch wenn es mittlerweile erneute Veränderungen im Innenhof gab, um diesen den Ansprüchen anzupassen, so finden sich neben der Skulptur noch immer Elemente von Klingelhölle, wie der diagonale Weg, wieder. 

Die Arbeit selbst ist schon mit einer Metapher betitelt, um den Bezug zu Blumenberg wiederherzustellen: pratum ridet (Die Wiese lacht). "Dieser Ausspruch taucht bereits bei Quintilian in der Antike auf und wenn man jemandem sagt "Die Wiese lacht", kann sich jeder ungefähr darunter vorstellen, was mit der Metapher gemeint ist." Der Rest des Titels oder das Gesicht in der Wand finden sind als Bausatz in der Skulptur: Das Geländer ist als Mund erkennbar; diverse Kugeln, die als Augen ausgewählt werden können; die Reihe aus fünf Eiben dienen als Nase. Aus diesen Versatzstücken ergibt sich die Metapher. "Blumenbergs Vorstellung der Fluidität der Metapher folgend erhält die Skulptur diverse, durchlässige Bedeutungsebenen und wird damit in ihrer jeweiligen Zeitgenossenschaft vielschichtig interpretierbar", so Jana Bernhardt in dem Begleitheft.

Gerdes-Raum, Foto: LWL/Hanna Neander

Schiff für Münster

Im 2. OG des LWL-Museums für Kunst und Kultur findet sich die Archivausstellung zu Ludger Gerdes' Schiff für Münster. Die Arbeit enstand, wie auch die von Klingehöller, im Rahmen der Skulptur Projekte 1987 und ist noch heute nahe des Horstmarer Landwegs zu sehen. Das Skulptur Projekte Archiv präsentiert die Entwurfszeichnungen und Korrespondenzen zu der Skulptur, aber auch die Arbeit Ohne Titel (Schiffskatastrophen), welche von der Stiftung Kunstfonds zur Verfügung gestellt wurde. "Das Schiff in Münster weckt Erinnerungen an typisch münsterländische Gestaltungen, an Wasserburgen ebenso wie an die Binnenschiffe des Dortmund-Ems-Kanals. Und an eine Metapher, die der Münsteraner Philosoph Hans Blumenberg in ihrer Erscheinungsform beschrieben hat: 'Der Mensch führt sein Leben und errichtet seine Institutionen auf dem festen Land. Die Bewegung seines Daseins im ganzen jedoch sucht er bevorzugt unter der Metaphorik der gewagten Seefahrt zu begreifen.'", schrieb Ludger Gerdes selbst in seinen Anmerkungen.

Hans Blumenberg und seine Metaphern lassen sich in unterschiedlicher Form in der Ausstellung, aber auch dauerhaft in Münster wiederfinden. Sei es in den öffentlichen Skulpturen, dem Westfälischen Kunstverein oder dem LWL-Museum für Kunst und Kultur.

Die Arbeit von Marcel Odenbach und die Ausstellung der Publikationen Blumenbergs sind noch bis Sonntag, 4.10.2020, zu sehen. Die Skulpturen, sowie die Präsentation der Archivalien in der Gegenwartskunst, bleiben auch nach Ende der Ausstellung zu sehen.

Das Begleitheft ist im Kunstverein oder an der Museumskasse erhältlich oder online:

Deutsches Begleitheft zu Ausstellung

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Kategorie: Kunstwelten