Nach der genannten Ausstellung von 1968 machte Josef Albers dem Landesmuseum ein Geschenk: „Homage to the Square: Selected“ lautet der Titel des noch heute zentralen Werks der ständigen Sammlung des 20. Jahrhunderts.
Das quadratische Gemälde mit etwas über einem Meter Kantenlänge begegnet uns im Obergeschoss des Altbaus im mittleren der drei zum Domplatz weisenden Räume. In Werken von Kandinsky, Moholy-Nagy, Baumeister unter anderem ist hier abzulesen, wie sich die abstrakte Kunst in Europa über die Errungenschaften der Klassischen Moderne hinaus entwickelte. Die Arbeit von Josef Albers stellt dabei zusätzlich eine Brücke zu den im nächsten Raum anzutreffenden großformatigen Werken amerikanischer Künstler dar. Denn Josef Albers brachte gemeinsam mit seiner Frau Anni Albers die Lehre des Bauhauses nach dessen Schließung durch die Nationalsozialisten 1933 in die USA. Noch im selben Jahr wurden sie an das neu gegründete Black Mountain College in North Carolina berufen, das Josef Albers ab 1948 leitete. 1949 wechselte er an das Art Department der Yale University in New Haven, Connecticut. Eva Hesse, Robert Mangold, Robert Rauschenberg, Richard Serra, Kenneth Noland und Donald Judd waren seine Schüler und sind zum Teil prominent in Münster vertreten.
Zur längeren Betrachtung des Gemäldes von Josef Albers steht eine Bank für uns bereit. Wieder unterscheiden wir den ersten vom zweiten Blick. Zunächst begegnet uns ein wenig spektakuläres Bild, in dem zwei unterschiedlich gelbe Quadrate ein kleineres, hellgraues Quadrat umgeben. Kein Pinselstrich ist sichtbar, die Farbränder sind exakt voneinander abgegrenzt. Albers hat die Farbe direkt aus der Tube mit dem Spatel aufgetragen. Die Künstlerhand, die für die Expressionisten so wichtig war, versteckt sich!
Ein zweiter, längerer Blick weckt unser Interesse und wirft Fragen auf, die den eigentlichen Kern der Arbeit bilden. Die übereinander geschichteten Quadrate erzeugen einen Tiefenraum. Wie bei einer von oben betrachteten Pyramide erscheint uns das kleine graue Quadrat am nächsten. Oder ist es umgekehrt? Schauen wir in einen Trichter hinein, ähnlich wie bei „Square Depression“, Bruce Naumans Beitrag für die Skulptur Projekte 2007 in Münster? Unsere Wahrnehmung schafft auch hier keine „Lösung“ – ja, wir können unsere Wahrnehmung sogar nach Belieben „umschalten“!
„Homage to the Square: Selected“ mit seiner Farbstellung Ockergelb, Zitronengelb und Hellgrau ist eines von insgesamt rund 2.500 (!) Huldigungen an das Quadrat, die Albers ab 1950 bis zu seinem Lebensende 1976 schuf. Dabei beschränkte er sich auf nur vier Varianten des Bildaufbaus und nutzte fast ausschließlich ungemischte Industriefarben, deren Bezeichnung er auf den Bildrückseiten vermerkte. Wie groß bei aller Selbstbeschränkung die Wahlmöglichkeiten dennoch waren, deutete Albers selbst an: „Ich habe 80 Sorten Gelb und 40 Grautöne.“ Insgesamt neun Gemälde und zahlreiche Grafiken dieser Serie befinden sich in der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur. Diese Huldigungen an das Quadrat sind eigentlich Huldigungen an die Farbe mit ihrem Reichtum an kaum berechenbaren Bildwirkungen.
Frage an die Besucher: „Ist unser Grau in der Mitte kalt oder warm?“ „Kalt!“ Die meisten Besucher sehen im Grau den Simultankontrast zum warmen Gelb, obwohl dieses Grau faktisch nur eine Mischung aus Schwarz und Weiß ist. „Alle Farbwahrnehmung ist Täuschung“, sagte Albers, und tatsächlich verändert sich die Wirkung nebeneinander liegender Farben ständig, weil sie aufeinander einwirken. Bei längerer Betrachtung stellen sich auch im Falle unseres Bildes weitere Effekte ein – die Farbgrenzen beginnen zu schwirren und zu verschwimmen. Bei aller Rationalität spielt das Bild geradezu mit unserer Wahrnehmung. Die Quadrate setzen sich gleichsam in Bewegung wie ein Schauspieler auf der Bühne. Schon in seiner Bauhauszeit hatte Albers formuliert: „Ein Element plus ein Element muss außer ihrer Summe mindestens eine Beziehung ergeben.“ Wie viele Beziehungen dies sein können, dies auszuloten, überlässt Albers nun uns. Die „Homages to the Square“ nehmen die Aktion des Künstlers weitestmöglich zurück, indem sie eine ergreifend schlichte Komposition wiederholen und nur wenig variieren. Dies schafft Platz für die gefeierte Seherfahrung der Betrachter.