#femalefriday: Katharina von Bora

02.04.2021 Sara Hirschmüller

Werkstatt Lucas Cranach der Ältere, Brustbildnis Katharina von Bora (1499–1552), um 1525/26, Öl, Eichenholz

Autorin: Laura Nübel (Mitarbeiterin Kunstvermittlung)

Im Rahmen der neuen Themenreihe #femalefriday darf ein bestimmtes Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. nicht fehlen. Die Rede ist vom Brustbildnis Katharina von Boras, welches sich in der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster befindet. Auf dem zwischen 1525/1526 entstandenen Werk ist eine herrschaftlich gekleidete Dame in Schwarz vor einem grünen Grund zu sehen. Ihre hellen Hände stechen vor dem tiefen Dunkel des samtigen Kleides heraus. Sie trägt zwei Ringe an dem Ringfinger ihrer linken Hand. Einen einfachen goldenen und einen anderen mit einem eingefassten Stein. So viel zum ersten und einfachen augenscheinlichen Befund.

Unmittelbar nach dem Start der tiefergreifenden Recherche zur Dargestellten wartet jedoch eine nagende Erkenntnis: Wie Herr Cranach ein Bild dieser Dame gemacht hat, so machten und machen sich auch zahlreiche weitere Personen unterschiedlichster Professionen und Hintergründe bis heute ein Bild dieser Frau. Nicht nur theoretisch und in den Köpfen der Menschen existieren eine Menge verschiedener Darstellungen der Katherina von Bora, sondern auch ganz wahrhaftig und materiell. So findet man ihr Gesicht auf einer Briefmarke oder kann sie als kleine Holzfigur erwerben. Ein ihr gewidmetes Kochbüchlein steht in den Regalen der Buchläden, ebenso wie Kinderbücher, in denen die Geschichte der entlaufenen Nonne erzählt wird. Es reihen sich spielerisch Liebesromane und Schauergeschichten ein, welche dann ebenso farbenreich in Filmen weitergesponnen werden konnten.

Wie anziehend, inspirierend und faszinierend Katharina von Bora bis heute ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Mannigfaltigkeit ihrer Namen: Dazu zählt natürlich Katharina Luther, aber auch die Frau des Reformators, die Selige oder Frau Doktor. Ebenso halten sich Namen, die ihr Ehemann ihr selbst gegeben hat, fest im Sprachgebrauch. Zu nennen sind: die Lutherin und der Morgenstern von Wittenberg. Er bedachte sie aber auch mit den Ausdrücken: Frau Katherin von Bora, Katharina Lutherin, meinen lieben Herrn / lieber Herr Käth, Doktorin, Predigerin zu Wittenberg und Hausfrau Katharina.

Der Hinweis auf die Art der Quelle ist für diesen Artikel entscheidend. Briefe! Wer diese Frau wirklich war, verbirgt sich wohl, wie so oft, zwischen den geschriebenen Zeilen der Männer. Leider sind von ihr selbst keine schriftlichen Zeugnisse erhalten. Es finden sich Hinweise zu ihr in den Briefen Martin Luthers und überlieferten Tischreden, an deren Konzeption sie einen Anteil hatte. Den leisen Hinweisen in diesen speziellen Textgattungen wird hier nachgespürt.

Eben deshalb soll nicht weiter ins Zentrum rücken, wie Herr Luther zu Ehe, Weib und Liebe stand, sondern es soll um die geheimnisvolle Frau vorm grünen Hintergrund gehen.

Warum das so drastisch formuliert werden muss? Von Bora bahnt sich immer noch überwiegend allein als Pendant zu ihrem Ehemann den Weg in die Literatur. Selbst auf der Website Sammlung Online des LWL-Museums für Kunst und Kultur findet sich in der Beschreibung des Gemäldes folgender Satz: „als Freund des Theologieprofessors und Reformators Martin Luther war er sogar am 13. Juni 1525 Trauzeuge bei dessen Hochzeit mit der adeligen [Ex-]Nonne Katharina von Bora, die 1523 mit einigen Freundinnen das Zisterzienserinnenkloster Nimbschen verlassen hatte und nach Wittenberg übersiedelte.“ Die Rede ist von Lucas Cranach d. Ä. Eingegangen wird in dem Artikel zu dem Porträt Katharina von Boras nur auf die Freundschaft des Malers zu dem Reformator, der Hinweis auf die Beziehung zu von Bora fehlt. Unerwähnt bleibt, dass, nachdem Katharina von Bora das Zisterzienserinnenkloster Marienthron an Ostern 1523 verlassen hatte, sie selbst längere Zeit bis zu ihrer Eheschließung mit Luther am 13.06.1525 im Hause Cranachs lebte. Dort traf sie namenhafte Protagonisten ihrer Zeit wie König Christian II. von Dänemark, welcher ihr angeblich einen goldenen Ring schenkte. Man mag munkeln, dass es sich bei dem schlichten Ring an ihrer linken Hand um ebendiesen Ring handeln könnte. Die hier vorherrschende Luther-Lastigkeit mag dem Umstand geschuldet sein, dass es sich um ein zweiteiliges Hochzeitsporträt handelt, trotz des unterschiedlichen Bildausschnittes. Wichtig ist jedoch zu bedenken, dass das Werkverzeichnis Corpus Cranach der Universität Heidelberg sie selbst unter den Reformatoren und Humanisten in Cranachs Œuvre führt. Darüber hinaus ist sie mit 45 bekannten Gemälden, die in der Cranach-Werkstatt entstanden, auf Platz drei der Popularität der abgebildeten Personen anzusiedeln. Direkt nach Luther und Philipp Melanchthon.

Trotz dieser Tatsache wird davon ausgegangen: „Sie konnte – wenn man auf eine Inschrift verzichtete – nur wiedererkannt werden, wenn der Bezug zu ihrem Mann gegeben war.“ Wieso ist es uns dann heute möglich, sie separat zu erkennen?

Bildniswürdig sei von Bora allein aus propagandistischen Zwecken geworden: „vor allem der Umstand der Hochzeit des ehemaligen Mönchs mit der entlaufenen Nonne“ sei dafür ausschlaggebend gewesen. Obwohl ihre Porträts als politisches Mittel eingesetzt wurden und damit eine Instrumentalisierung ihrer Person für das Vorantreiben der Reformation einherging, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sie sich selbst zu dem drastischen Schritt entschieden hatte, das Kloster zu verlassen und nach Wittenberg zu gehen, um sich ebendieser Bewegung anzuschließen. Häufig wurde und wird Katharina von Bora als Ideal einer protestantischen Pfarrfrau konstruiert, die sich im übersichtlichen familiären und gemeindlichen Bereich als Hausfrau und Mutter betätigt habe. Wie weiter oben schon angedeutet, wurde dieses Bild aber bereits in den 21 erhaltenen Briefen von Martin an Katharina widerlegt. Die Briefe beweisen, welch eine universell gelehrte, starke und für die Arbeit ihres Mannes gewichtige Persönlichkeit Katharina von Bora gewesen ist. Die Briefe zeugen nicht nur von Nähe, sondern darüber hinaus vom politisch-theoretischen Austausch des Ehepaares. Luther berichtet ihr im Detail über Debatten und betraut sie mit Veröffentlichungen und Druckaufgaben. Liest man die Briefe, die Katharinas Ehemann an sie schrieb, so geht als erstes hervor, dass sie sehr wohl selbst einiges zu sagen hatte und geschrieben hat. Nicht nur an Luther selbst, denn sie übernahm auch große Teile seiner allgemeinen Korrespondenz. Ohne diese enge Zusammenarbeit wäre die Bewältigung der Flut an Kommunikation des vernetzten Reformators gar nicht möglich gewesen. Dabei war sie keine unsichtbare Sekretärin. Luther richtet Grüße von Größen seiner Zeit an Katharina aus. Darüber hinaus belegen die Briefe, dass Katharina von Bora die Finanzen und Geldtransaktionen der Familie verwaltet, unter anderem sogar Spenden an Freunde ausgibt. Sie plant, entscheidet und beaufsichtigt den Umbau des Hauses, in dem für immer mehr Pilger, nicht nur bei Tisch, Platz geschaffen werden musste. Luther beschreibt sie in seinen Kosenamen weiter als Predigerin, Brauerin und Gärtnerin – was auf weitere zentrale Aufgaben hinweist, die sie neben der Erziehung ihrer sechs Kinder wahrnimmt. Nicht zu Unrecht wird sie von Luther als eine „kluge“ und „tiefgelehrte Frau“ gelobt. Von früh bis spät arbeitete der Morgenstern, um den großen Haushalt im schwarzen Kloster zu Wittenberg zu unterhalten. Dieser glich von der Größe her einem kleinen Unternehmen. Zeitweise umfasste er über 40 Personen mit Gästebetrieb.

Besser spät als nie mag man meinen, wenn die Autorin dieses Textes einsehen muss, dass auch bei ihrem Versuch, der gescheiten Katharina von Bora näherzukommen, nur eine weitere Persona konstruiert wird. Abermals wird ein Bild gezeichnet, das mit der historischen Figur Katharina von Boras nicht übereinstimmt. Das Bildnis ist stets bestimmt vom Zeitgeist, dem wir uns unterbewusst unterwerfen, von Träumen und Sehnsüchten. Es bleibt zu fragen: Würde die Unzufriedenheit der Lutherin damit heraufbeschwört? Darauf gibt vielleicht Christine Brückners Roman „Wenn du geredet hättest, Desdemona.“ aus dem Jahr 1983 Antwort. Auch Brückner gehört zu dem Kreis der von Bora inspirierten Literat:innen. In dem Format der berühmten und hier besprochenen Tischreden gibt sie in ihrem schriftlichen Bildnis von Bora eine Stimme: „Bist du sicher, Martinus?“ lautet der Titel, der die bisher verstummte und daher ungehaltene Frau zu Wort kommen lässt. In einem Abschnitt nimmt Brückners von Bora verärgert Bezug auf die Gemälde von Cranach d. Ä. und wünscht sich: „Statt daß sich die Leute nun selbst ein Bild von uns machen, sehen sie uns wie dieser Cranach uns gesehen hat.“ In diesem Sinne erteilt Brückners von Bora die beruhigende Erlaubnis zum Malen eines bzw. dieses weiteren Bildnisses für die Nachwelt.

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Kategorien: Kunstwelten · #femalefriday