Autorin: Britta Lauro (Referentin für Inklusion im LWL-Museum für Kunst und Kultur)
Kann uns ein größeres Glück widerfahren, als für eine Weile die Dinge mit den Augen des anderen betrachten zu können?
(Henry David Thoreau, US-amerikanischer Philosoph, Naturalist und Schriftsteller)
Für das LWL-Museum ist Inklusion sehr wichtig. Hinter dem Fachausdruck Inklusion steht die Idee, dass alle Menschen dieselbe Möglichkeit haben, am Leben teilzuhaben.
Damit setzt der LWL die Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen um, die am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurden, mit der man die Rahmenbedingungen für Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung garantiert.
Neben den vielen verschiedenen Projekten und Angeboten des Museums für unterschiedliche Zielgruppe gibt es auch spezielle Angebote für sehbehinderte Menschen. Manch einer wird sich fragen, was Blinde in einem Kunstmuseum machen, wenn sie doch nichts sehen. Und selten sieht man tatsächlich Blinde oder stark Sehbehinderte im Museum. Einer der Gründe dafür mag sein, dass nicht alle Sehbehinderte an Kunst interessiert sind – wie andere Menschen auch nicht einfach ins Museum gehen, nur weil es da ist. Es sind dann die Angebote, die interessant und vielschichtig sein sollten, um ein Museum zu einem Ort des Austauschs und der Begegnung zu machen. Und darum gibt es auch Angebote für Sehbehinderte, die es möglich machen, sich auf anregende und interessante Weise mit Kunst im Museum zu beschäftigen.
Ein ideales Museum für Sehbehinderte wäre sicherlich, dass ein Museumsbesuch alleine möglich wäre. Wenn es zum Beispiel Leitsysteme überall auf dem Boden gäbe, wenn man sich tastend im Museum orientieren könnte und die Objekte anfassen dürfte. Was aber für den einen eine Hilfe bedeutet, könnte dann für den anderen zur Gefahr werden. Tastspuren auf dem Boden könnten beispielsweise zu Stolperfallen für gehbehinderte Menschen werden. Und Objekte dürfen nicht angefasst werden, weil sie zu empfindlich und kostbar sind. Das Museum bietet einen kostenfreien Begleitservice an, den man für den Museumsbesuch im Besucherbüro organisiert bekommt. Und es gibt in allen Etagen Tastmodelle, die bei der Orientierung im Museum helfen, und Ansagen in den Aufzügen. Und einige wenige Skulpturen darf man nach Absprache berühren.
Um die Schwierigkeiten für Sehbehinderte im Museum zu erkennen und um Barrieren abbauen zu können, trifft sich das Museumsteam regelmäßig mit einer Gruppe von Blinden und Sehbehinderten. Diese Gruppe eröffnet den Mitarbeiter:innen einen neuen Blick auf die Kunst und das Museum.
Ein besonderes Projekt des vergangenen Jahres, das die Gruppe begleitet hat, war das Lesetasthörbuch des Museums.
Dieses Buch kann man lesen (in der Tastschrift Braille und in Großbuchstaben), tasten (die wichtigsten Bildelemente kann man auf kontraststarken Tasttafeln erfühlen) und per CD hören (hier hört man ausführliche Bildbeschreibungen und Hintergrundinformationen zu den Werken). Das Buch ermöglicht also einen besonders „sinn-vollen“ Einblick in die Kunstwerke unterschiedlicher Epochen. Die sehbehinderte Gruppe hat als Testleser die Bildbeschreibungen und den Aufbau des Buches genau erprobt und so für viele Verbesserungen gesorgt, die Sehende nie wahrgenommen hätten. Das Buch kann man in der Bibliothek und an der Kasse für den Museumsbesuch ausleihen. Es steht ein besonderes Abspielgerät im Museum zur Verfügung, mit dem die Sehbehinderten zum Beispiel Lesezeichen auf die CD bringen können, wenn Sie eine Pause machen und die eine selbständige Bedienung des Gerätes und des Buches ermöglichen.
Aber um ein Buch zu lesen, muss man doch nicht ins Museum kommen, werden einige von euch denken. „Auch wenn Blinde ein Bild nicht sehen, erspüren sie doch die Atmosphäre eines Raumes“, sagt Ida Hölscher, die von Geburt an vollblind ist. „Jeder Raum im Museum hat doch einen anderen Raumklang. Ich höre, ob ein Raum imposant, groß oder klein ist. Und in vielen Räumen gibt es akustische Erlebnisse, zum Beispiel Vogelgezwitscher, Renaissancemusik oder Hundegebell der Jagdgeräusche im Barock-Raum. Das ist doch toll! Dieses Erleben ist zu Hause gar nicht möglich!“
Der Museumsrundgang mit dem Buch oder mit einer Kunstvermittler:in erlaubt ein gemeinschaftliches Erleben vor dem Kunstwerk. Die speziell ausgebildeten Kunstvermittler:innen beschreiben die Werke so genau, dass man sich das Werk vorstellen kann. Durch die Fragen der Gruppe, von denen ein paar noch wenig sehen oder auch komplett blind sind, ergibt sich dann ein Ganzes. „Und wenn ich ein wichtiges Kunstwerk entdecke, dann kann ich mich darüber auch mit meinen sehenden Freunden austauschen. Ich bin dann jemand, der wie alle anderen über Kunst reden kann. Und mein Blindsein ist dabei total unwichtig! Nur weil ich blind bin, bin ich doch trotzdem an dem interessiert, was um mich herum passiert – auch wenn ich es nicht sehen kann“, erklärt Ida.
Die sehbehinderte Testgruppe ist gerade in diesen Tagen mit einem neuen Museumsprojekt beschäftigt: Live-Telefonführungen im Museum. Wegen Corona dürfen keine Rundgänge im Museum stattfinden. Alternativ bietet das Museum deshalb schon länger Rundgänge auf Instagram oder Facebook an und buchbare Online-Rundgänge per Video-Konferenz. Die neuen akustischen Rundgänge „Bei Anruf: Kunst und Kultur!“, die erstmalig am 19. März um 15 Uhr angeboten werden, bieten besonders detaillierte Werkbeschreibungen und machen eine Kommunikation innerhalb der Gruppe möglich. Die Rundgänge werden mit Zoom stattfinden, aber eben nur über ein Audiosystem laufen. Wie funktioniert das Einwählen in den Meeting-Raum, wenn ich nicht (gut) sehen kann? Worauf muss beim Versand der Einladungen von Museumsseite geachtet werden? Wie viele Zahlen und Telefonnummern verwirren, welche Sternchen und Bindestriche im Einladungstext behindern nur? Alles das hat die Testgruppe mit unseren Kunstvermittler:innen ausprobiert.
Letztendlich ist es bei den akustischen Live-Rundgängen egal, ob man sehend oder sehbehindert ist. Wer gerade aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Museum kommen kann, wählt sich ein und kann live dabei sein.
Wir sind gespannt, wie dieses neue Format ankommt! Anmelden kann man sich bei uns im Besucherbüro.