#femalefriday: Elisabet Ney im Verhältnis 1:2

19.03.2021 Sara Hirschmüller

Autorinnen: Linda Kotzian (Mitarbeiterinnen Kunstvermittlung)

Die erfolgreiche Bildhauerin Elisabet Ney (geb. 1833 in Münster) konnte mit ihrem Charme, Geist und ausgeprägter Vehemenz viele einflussreiche Männer davon überzeugen, sich von ihr porträtieren zu lassen. Selbst der Frauen verachtende Philosoph Arthur Schopenhauer, nach dessen Auffassung Frauen nicht fähig seien, künstlerische Werke von bleibendem Wert zu schaffen, saß Ney 1859 für die Verewigung in Stein vier Wochen Modell. Elisabet Ney zu überzeugen, gelang allerdings kaum und so stießen männliche Verehrer auf Granit. Der Bonner Professor Hermann Hüffer bemerkte:

[…] Den Grund konnte ich ahnen, als sie mir auf ihrem Schreibtische die Photographie eines jungen Engländers zeigte.

Elisabet(h) Ney, Porträtbüste Dr. Edmund Montgomery (1835–1911).

In der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur begegnen wir diesem (um genauer zu sein Schotten) Edmund Montgomery in einer Porträtbüste aus Gips, die Elisabet Ney 1864 anfertigte. Oberhalb des unbekleideten, rund geschwungenen Schulterstücks schauen die Betrachter:innen in das fein geschnittene Gesicht des 30-Jährigen. Es ist plastisch gegliedert durch die schmale, spitz verlaufende Nase und die Brauenknochen. Richtet sich der nach links abgewandte Blick auf etwas in der Ferne oder schweift er in Gedanken? Womöglich Letzteres, da die gespannt wirkenden und halb geöffneten Lippen konzentrierte Aufmerksamkeit/Anspannung vermuten lassen. Über die fein nuancierten Rundungen des Kinns und der hohen Stirn legt sich die Haut glatt bis zum Haaransatz, auf den kontrastreich eine bewegte Lockenpracht folgt. Sie ist eine wunderschöne Rahmung, in der eine Haarwelle die linke Schläfe verschattet und die Rundung der Stirn unterstreicht. Darunter werden aus Koteletten voluminöse Wangenbärte.

Elisabet Neys Ästhetik war am Pulsschlag der Zeit des Klassizismus/der Aufklärung. Die Büste ist stellvertretend für den durch seine geistigen Fähigkeiten wirkenden Menschen, der Sitz der Seele und das adäquate Medium, um Würde und Einzigartigkeit zu verdeutlichen. Die Qualität ihrer Arbeiten ist ein zentraler Aspekt ihres beruflichen Erfolges, der sie mit 24 Jahren ihre eigene Werkstatt in Berlin eröffnen ließ und Auftraggeber wie Otto von Bismarck oder König Ludwig II. von Bayern einschloss. Ney lebte als Frau nicht nach gesellschaftlicher Norm. Doch allein mit Begabung die Durchsetzungskraft von Ausnahmefrauen (Henriette Herz und Bettina von Arnim seien beispielhaft genannt) zu begründen, wäre eine fatale Verkürzung. Zielstrebigkeit und Verstand müssen hinzugerechnet werden.

Mit 17 Jahren trat Ney in den Hungerstreik, da sie in der Berliner Bildhauerwerkstatt Christian Daniel Rauchs zur Ausbildung wollte. Zwar gelang dies nicht, doch unterrichtete sie ihr Vater, ebenfalls Bildhauer, in seinem Münsteraner Atelier und ließ sie mit 19 zur Kunstakademie nach München gehen. Ihre Bildung und das Modellieren am eigenen Image prägen die 1850er Jahre. Sie wird die erste Frau in der Bildhauerklasse und pflegt Kontakte nach Berlin und zu Heidelberger linksliberalen Kreisen, wo 1854 ihre Liebesbeziehung mit dem Philosophen und Medizinstudenten Montgomery beginnt. Sie trägt ihr schulterkurzes, gewelltes Haar offen und schneidert selbst ihre Kleidung. Nach München wird sie in Berlin die Zusammenarbeit mit Rauch beginnen und erbt nach dessen Tod ein „Auftragspaket“, das ihr finanzielle Unabhängigkeit und Begegnungen mit Persönlichkeiten aus dem musischen und politischen Umfeld ermöglichen. In dieser Zeit beginnt sie, ihren (seinerzeit äußerst populären) Namen in Verkürzter Version zu verwenden.

So finden wir im linken Schulterrand der Bildnisbüste von Dr. Edmund Montgomery ihren Künstlerinnennamen als Inschrift: Madera. Elisabet Ney. Fec. 186(5). Ney fertigte die Arbeit auf Madeira an, wohin sie im Oktober 1863 ihrem an Tuberkulose erkrankten Freund folgte und wo das Paar nach ihrer Eheschließung im November zwei Jahre lebte. Sie setzte ein prägnantes Zeichen von Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein, indem sie Zeit ihres Lebens ihren Mädchennamen behielt und war bekannt als das Fräulein Ney. Mutmaßungen und gesellschaftliches Befremden konnten sie allerdings kaum stören, denn sie war als Künstlerin unter diesem Namen schon bekannt und besaß als Fräulein mehr Rechte. In den 10 Jahren bis zur Ehe führte das Paar eine Fernbeziehung, in der beide ehrgeizig ihre Karriereziele in den unterschiedlichsten europäischen Städten verfolgten. Nach Madeira lebten sie unter Geheimhaltung ihrer Ehe (!) in einer von König Ludwig II. für Ney ausgestatteten Villa mit Atelier in München.

1871 brach das Paar unvermittelt nach Amerika auf – sie war schwanger und durch den Weggang aus Europa nicht mit dem Skandal konfrontiert, eine unverheiratete Frau mit Kind zu sein. Das Leben in Amerika war zunächst durch Schicksalsschläge und Geldnöte geprägt. Der Sohn starb im Kleinkindalter, die Bewirtschaftung der Farm erwies sich als schwer, die Beziehung zum zweiten Sohn eskalierte 1887, Elisabet Ney wandte sich für 12 Jahre von der Bildhauerei ab. An eine Rückkehr nach Europa war jedoch nicht zu denken. Ab 1895 stellte sie mit ihrer Kunst wieder Stabilität her. Sie richtete sie sich ein Atelier ein, fand Auftraggeber und begann Reisen nach Europa, um sich zu vermarkten. Ihr Nachlass wurde nach ihrem Tod (1907) der Universität von Texas vermacht. 1911 eröffnete in ihrem Atelierhaus das erste einer Frau gewidmete Museum weltweit – das Elisabet Ney Museum.

Von der Beziehung des Paares ist wenig bekannt, da seine langjährige Haushälterin alle Briefe der beiden nach dem Tod Montgomerys (1911) vernichtete. Allerdings lassen uns Neys sensible Darstellung von 1864 und eine Briefzeile Montgomerys zu ihrem Kennenlernen von 1904 ähnlich wie Hermann Hüffer etwas erahnen.

[…] von da an bis jetzt ist Freud und Leid des Lebens unser gemeinsames Los gewesen

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