Kunstwelten: Ida Gerhardi

27.10.2021 Sara Hirschmüller

Eine Künstlerin zwischen Boheme und Bürgertum

Autorin: Dr. Elisabeth Janik-Freis (Mitarbeiterin Kunstvermittlung)

Am 29. Juni 1927 starb die Künstlerin Ida Gerhardi im Alter von 64 Jahren in Lüdenscheid. Gerhardi begann zwar ihre Karriere als professionelle Malerin erst vergleichsweise spät, doch schuf sie bis zu ihrem Tod ein facettenreiches Oeuvre, das uns heute noch in stimmungsvolle Welten voll leuchtender Farben entführt. Ihr künstlerisches Wirken macht sie zu einer bedeutenden Malerin der Klassischen Moderne. In die Wiege gelegt worden war der gebürtigeren Hagenerin die Malerei aber nicht.

Der frühe Tod ihres Vaters August Gerhardi (1831–1869) und die daraus erwachsende finanzielle Notlage zwangen Mathilde Gerhardi (geb. Dieckmann, 1840–1917) und ihre drei Kinder zum Wegzug aus Hagen. Sie ließen sich in 150 Kilometer entfernten westfälischen Detmold bei Verwandten nieder. Hier besuchte die junge Gerhardi eine höhere Töchterschule und genoss dort eine bürgerliche Erziehung. Jedoch war sie rasch mit der engen und vor allem konservativen Lebenswelt des westfälischen Bürgertums konfrontiert, in der die Rolle der Frau in der Gesellschaft klar geregelt war und malende Frauen oder gar Künstlerinnen keinen Platz hatten. Auch wenn der Weg zur Ausbildung steinig war, gelangte sie fast 30jährig an die Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins, wo sie von der Landschaftsmalerin Tina Blau unterrichtet wurde. Auch für viele andere Künstlerinnen, wie Käthe Kollwitz oder Maria Slavona war die Münchner Damenakademie eine wichtige Station.

Ida Gerhardi, Selbstbildnis, 1907, Öl auf Leinwand.

„Ich bereue keinen Tag nach hier [Paris] gegangen zu sein“

Nur knapp ein Jahr studierte die junge Gerhardi in München. Schon 1891 zog es sie nach Paris, wo sie an die Privatakademie Colarossi wechselte. Die Académie gestattet den angehenden Künstlerinnen sogar das Aktzeichnen am lebenden Modell, das die Basis professioneller Anerkennung bildet, den meisten angehenden Malerinnen aber bis ins 20. Jahrhundert verwehrt bleibt. Das Studiengeld stiftet eine Freundin der Mutter – die Hagenerin Emilie Elbers. Nach Ende des Studiums blieb Gerhardi in Paris, wo sie gut 22 Jahre lebte und arbeitete. In ihren frühen Bilder konzentrierte sie sich auf stimmungsvolle Naturwiedergaben und Landschaftsmalereien, die vor allem durch die Landschaftsbilder der Schule von Barbizon beeinflusst waren.  Später malte Ida Gerhardi neben Porträts auch Stadtansichten und Stillleben. Sie nutzte eine helle Farbpalette mit Pastelltönen und klaren leuchtenden Farben.

Die französische Metropole eröffnete ihr ein neues selbstbestimmtes Leben, das auch Einfluss auf ihre Malerei hatte.  Dieses durch zahlreiche Aufenthalte in Pariser Vergnügungslokalen wie dem Bal Bullier bestärkte Lebensgefühl fand schließlich auch Eingang ihr künstlerisches Schaffen. So entstanden zahlreiche Bilder, die Tanzszenen in hell erleuchteten Ballsälen zeigen und die Bewegung der Körper in all ihrer Dynamik betonen (Tanzbild XI (Bal Bullier), 1905). Doch auch düstere Orte, wie die sogenannten Apachenkneipen (Apachenkneipe II, 1906) malte sie. Das Malen dieser Orte war etwas Besonderes, denn erst nach 1900 war es Frauen überhaupt erlaubt, in solchen Lokalen zu verkehren. Gerhardis Einblicke in das Pariser Nachtleben waren ein kunsthistorisches Novum. Ihr Oeuvre wird durch eine Vielzahl an Selbstbildnissen bereichert, dass nicht nur ihre eigene Verfassung spiegelte, sondern die gesellschaftliche Stellung der Frau in der Kunst im frühen 20. Jahrhundert.

Während ihrer Zeit in der französischen Hauptstadt genießt sie das Pariser Kulturleben und pflegt enge Kontakte zu verschiedenen Künstler:innen. Das Café du Dôme, ein beliebter Treffpunkt für Künstler:innen, wurde auch für Gerhardi zum Ort des künstlerischen Austauschs. So pflegte sie intensiven Kontakt zu Auguste Rodin, über den sie, wie wir aus ihren Aufzeichnungen wissen, eine hohe Meinung hatte. Zwar war Gerhardi mit zahlreichen Künstler:innen ihrer Zeit vernetzt, wirklichen Erfolg hatte sie jedoch nicht. Es war schwierig, für eine Künstlerin in Paris Fuß zu fassen. Diese Problematik schildert sie ihrem Bruder Karl-August 1904 in einem Brief: „Ich hoffe, dass diese Zeit in Paris meine Stellung in Berlin machen wird.“ Über die Grenzen der französischen Hauptstadt wollte sie auf ihr künstlerisches Schaffen aufmerksam machen und ihre Kunst einem breiten Kunstmarkt öffnen. Sie engagierte sich in einem weitläufigen Künstler:innen-Netzwerk und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen der Berliner und Münchner Secession. Ihre hervorragenden Kontakte zur französischen Kunstszene nutzte Gerhardi, um internationale Ausstellungen zu organisieren (insbesondere deutsche Kunst in Frankreich und französische Kunst in Deutschland).

Neben ihrer Familie und ihren engen freundschaftlichen Beziehungen zu Künstler:innenkreisen pflegte sie den Kontakt zu einem der bedeutendsten Kunstmäzen ihrer Zeit – Karl Ernst Osthaus. Auch Osterhaus profierte von der intensiven Beziehung, durch sie konnte einige Gemälde für das neu gegründete Museum Folkwang günstig erwerben.

1913 verließ Gerhardi Paris und kehrte aus gesundheitlichen Gründen in ihr Familienhaus nach Lüdenscheid zurück, wo sie im Alter von 64 Jahren verstarb.

 

In einem wechselvollen Leben war Ida Gerhardi nicht nur Malerin, Künstlerin und Ausstellungsmacherin, sondern auch Kunstmanagerin und Vermittlerin zwischen den Kulturen.

Kategorie: Kunstwelten